12 Tage quer durch das schwedische Lappland

12 Tage Schnee, eisige Winde, Kälte von bis zu Minus 30 Grad. Wie kommt man eigentlich auf so eine Idee? Ganz genau kann ich es auch nicht mehr sagen, aber ein Satz, den mir auf unserer Sommer-Lappland-Tour vor einigen Jahren mal ein Hüttenwirt sagte und der seitdem in meinem Kopf herumschwirrt hat sicher seinen Teil dazu beigetragen. „Ja, schön ist das hier in Lappland. Aber du müsstest es mal im Winter sehen, da ist es noch so viel schöner“. Seitdem habe ich mich immer wieder gefragt, was denn wohl diese Schönheit ausmacht und wie es wohl ist, dort oben – 200km nördlich des Polarkreises – im tiefen Winter. Damals schien es mir noch vollkommen unmöglich, als Normalsterbliche eine derartige Wintertour zu unternehmen. Doch mit den Jahren, mehr Outdoor-Aktivitäten, die sich zumindest in Deutschland immer mehr auch in die kälteren Jahreszeiten zogen, schien es mir irgendwann gar nicht mehr so abwegig. Und so wurde die Idee Stück für Stück und ganz langsam zu einem konkreten Plan.

Wochenlange Vorbereitung

Einmal der Entschluss gefasst, folgten Monate der intensiven Vorbereitung. Weniger die physische (wobei eine gute Grundfitness definitiv von Vorteil ist), als vielmehr alles andere. Was braucht man eigentlich für so eine Tour? Zahlreiche Antworten und Meinungen dazu finden sich auf den verschiedensten Blogs im Internet.. Deren intensives Studium hat definitiv dazu beigetragen, dass wir am Ende der Tour selbst von uns beeindruckt waren, wie gut wir ausgerüstet und vorbereitet waren (tausend Dank an all die Blogger:innen da draußen!). Also Ausrüstung zusammensuchen (wir haben das meiste gebraucht gekauft), Packlisten schreiben, Essensversorgung planen, Energieversorgung klären (friert ja alles ein da oben) und so viele weitere Kleinigkeiten, die es zu bedenken gab.

Anfang des Jahres, 2 Monate vor der großen Tour, fühlen wir uns eigentlich schon ganz gut vorbereitet. Spontan nutzen wir die über Deutschland ziehende Schneefront, packen die Sachen und fahren für ein paar Tage in den Harz. Pulken haben wir uns für diese kleine Tour einfach aus Kinderschlitten gebastelt – funktionierte erstaunlich gut. Rückblickend ein wichtiger Teil unserer Vorbereitung. Nach ein paar Tagen kommen wir zurück nach Hause und haben enorm viel Selbstsicherheit in Bezug auf Wintertouren gesammelt. Wir haben gelernt, wie wir unser Zelt im Schnee am besten aufbauen, dass Schneeheringe essentiell sind und haben eine Liste an Ausrüstungsgegenständen, die wir noch brauchen.

Zwei Monate und zahlreiche weitere Vorbereitungen später soll es dann endlich losgehen. Geplant haben wir eine Route, die ein bisschen was von allem bereithält. Start- und Endpunkt ist in Abisko, da wir hier Ski und Pulka leihen können und dieser kleine Ort einfach einzigartig gut mit dem Zug zu erreichen ist. Die ersten Tage wollen wir auf dem recht einfachen und gut besuchten Kungsleden laufen. Dann wollen wir aber ab von den gewohnten Wegen und werden das Kebnekaise-Gebirge durchqueren. Teilweise werden dann die Wege steiler und auch nicht mehr mit Wintermarkierung versehen sein. Für den Notfall gibt es entlang der Route verschiedenste Möglichkeiten, sie abzukürzen oder vorzeitig zu beenden, falls sie doch nicht so läuft, wie geplant.

Endlich geht’s los

Schon die Reise nach Lappland ist ein Abenteuer. Wenn in Stockholm der „Polar-Express“, der Nachtzug der Süd- und Mittelschweden mit dem hohen Norden verbindet, mit seinen beachtlichen Schneeschiebern an der Lock einfährt, weiß man sicher, es geht in abenteuerliche Gebiete. Doch von drinnen ist es ein extrem gemütlicher Nachtzug. Zu zweit haben wir eine kleine Dreierkabine und beobachten im Bett liegend, wie die Landschaft draußen immer weißer wird. Am Morgen weckt uns die hereinscheinende Sonne, die den Schnee glitzern lässt. Gut ausgeschlafen steigen wir in Abisko aus, das Abenteuer kann losgehen.

In Abisko schlagen wir zwar schon unser Zelt auf (direkt der erste Aufbau und findet im Schneesturm statt und auch die ganze Nacht über stürmt es), bleiben aber zwei Tage vor Ort und nehmen uns Zeit für die letzten Vorbereitungen. Einen Tag für eine erste Tour mit den Back Country-Skiern (unsere letzten Skierfahrungen sind lange her und mit dieser neuen Art legen wir uns am Anfang doch so einige Male auf die Nase) und einen zweiten Tag für eine erste Tour mit der Pulka, dem Schlitten, auf dem wir unser Gepäck hinter uns her ziehen werden. Zwischendrin gibt es viel zu erledigen, letzte Einkäufe, Benzin für den Kocher an der Tankstelle holen etc.

Tag 1: Abisko Turisstation bis an die Nationalparkgrenze, 18km

Und dann geht es endlich los. Früh stehen wir auf, bauen das Zelt ab, verstauen alles in unseren Pulken und brechen auf. Die Sonne guckt immer wieder zwischen den Wolken durch, es sind nicht allzu kalte -7Grad und die ersten paar Kilometer auf dem Kungsleden sind wir euphorisch und glücklich nach all den Vorbereitungen endlich hier zu sein. Doch das ändert sich schnell. Die Pulken sind mit jeweils ca. 35kg recht schwer. So viel Gewicht hinter uns herzuziehen ist ungewohnt und anstrengend. Bei jedem kleinen Anstieg finden die Skier keinen Halt und es zieht uns zurück. Nach einigen Kilometern ziehen wir die Felle auf die Skier. Damit kommen wir zwar nur langsam voran, aber es kostet uns etwas weniger Kraft. 13km laufen wir auf und ab durch Birkenwald, die Anfangs nur in der Ferne zu sehenden Berge kommen immer näher. Dann stehen wir vor dem Abiskojaure-See. Der Winterweg des Kungsleden geht hier einfach quer über den See, warum auch nicht, bei den Temperaturen ist die Eisdecke locker einen Meter dick. Noch oft werden wir in den kommenden Tagen über Flüsse und Seen wandern, doch heute ist es noch ein besonderes Gefühl. Nach 16km erreichen wir die Nationalparksgrenze und schlagen müde unser Zelt auf (im Abisko-Nationalpark ist das Zelten nicht erlaubt). Wir sind zwar vollkommen erschöpft und uns beide einig, dass wir es und so anstrengend nicht vorgestellt haben, aber auch stolz, diesen ersten Tag geschafft zu haben.

Tag 2: Von der Nationalparkgrenze bis zur Schutzhütte Radujärvi, 11km

Die Nacht im Zelt war gemütlich und warm. Am morgen schneit es. Wir brauchen 3 Stunden für Frühstück, Packen, Zelt abbauen und alles in die Pulken verstauen. Unsere Tour führt uns an diesem Tag fast den ganzen Tag bergauf, es ist super anstrengend. An den steileren Stellen kommen wir teilweise selbst mit Fellen unter den Skiern nicht weiter, die Pulka zieht uns einfach zu sehr zurück. Da hilft nur Skier ausziehen, doch auch der ständige Wechsel ist anstrengend. Aber auch länger stehen bleiben und Pause machen geht heute nicht, es weht ein eisiger Wind. Teilweise schneit es dabei so sehr, dass man keine 30m weit gucken kann. Erst am Nachmittag klart es etwas auf und auf einmal haben wir wieder Sicht. Tolle Aussichten auf die bergige Landschaft, die in vollem Glanz erscheint. Der Zauber dieses unglaublichen Ausblicks, schafft es, dass uns ganz schnell wieder klar ist, warum wir das Ganze hier eigentlich machen.

Früh sehen wir in der Ferne eine kleine Schutzhütte. Als wir dort ankommen, begrüßen uns zwei Franzosen, die bereits etwas Holz in den kleinen Ofen gelegt haben und die Nacht dort verbringen wollen. Wir sind müde und kaputt und die vorgeheizte Hütte ist verlockend, also nehmen wir uns die andere Ecke und beschließen hier zu übernachten. Es folgt ein entspannter Abend in der Hütte und eine warme Nacht.

Tag 3: Von Radujärvi bis ins Aliseatnu-Tal, 18km

Der Wecker der Franzosen klingelt um 6h, also stehen auch wir früh auf. Bei uns gibt es wie jeden Morgen einen aus Haferflocken, Datteln und Nüssen bestehenden Frühstücksbrei mit Tee und Kaffee. Die Franzosen hingegen schwören auf Yum-Yum-Suppe mit einem guten Schuss Olivenöl. Schon gegen 8h sind wir aufbruchsbereit und starten unsere Tour auf dem Alesjaure-See. Die Sonne kommt hinter den Bergen hervor und die flache Seetour ist deutlich entspannter als der Vortag. Auch nach dem See ist es eher ein gemütliches Auf und Ab und so kommen wir heute zum ersten Mal ganz gut voran. Um uns herum beeindruckende Berge. Der Nachmittag verdeutlicht uns, wie schnell sich das Wetter hier ändern kann. Noch zur Mittagspause hatten wir Sonnenschein, wenig später zieht sich innerhalb von Minuten alles zu, Schnee und Wind ziehen auf und man kaum noch die Hand vor Augen sehen. Gegen 16h bauen wir unser Zelt dann wieder im strahlenden Sonnenschein auf. Klarer Himmel bedeutet aber auch Kälte, wir verbringen die Nacht bei ca. -20 Grad.

Tag 4: Vom Aliseatnu-Tal auf den Tjäktja-Pass, 6km

Heute geht es hoch auf den Tjäktja-Pass, die höchste Erhebung des Kungsleden. So anstrengend, wie Anstiege bisher für uns waren, haben wir großen Respekt vor der Etappe und beschließen, uns viel Zeit für den Aufstieg zu nehmen und lediglich auf den Pass, aber nicht weiter zu gehen.

Steil geht es bergauf, heute immer in Richtung das, was wir als Polarsonne bezeichnen. Die Sonne ist zwar zu sehen, aber hinter einem milchigen Schleier verborgen – passt irgendwie in die Landschaft. Der Aufstieg ist anstrengend, aber wir kommen voran und haben uns inzwischen auch an die Pulken etwas gewöhnt. Bereits gegen Mittag sind wir oben. Die Aussicht von hier ist beeindruckend und es gibt auch wieder eine kleine Schutzhütte mit Ofen. Wir bleiben hier, entspannen den Nachmittag die müden Muskeln. Am Abend leuchten die Polarlichter für uns am Himmel – zusammen mit einem tollen Sternenhimmel und der schönen Berglandschaft ein beeindruckendes Schauspiel.

Tag 5: Vom Tjäktja-Pass bis zur Nallo-Hütte, 20km

Früh brechen wir auf und sind die ersten, die an diesem Tag den Tjäktja-Pass herunterfahren. Die Felle haben wir von den Skiern abgemacht und langsam, aber inzwischen doch etwas geübter gleiten wir den Pass hinunter. Dabei haben wir unglaubliche Aussichten in das vor uns liegende Tal. Schon nach zwei Stunden sind wir bei der 10km entfernten Sälka-Hütte. Hier wollten wir laut Plan vom Kungsleden abbiegen und tiefer in das Kebenekaise-Gebirge hinein. Doch ein erhöhtes Lawinen-Risiko durch milde Temperaturen in der Vorwoche, lässt uns zögern. Wir unterhalten uns länger mit dem Hüttenwirt, einem alten Schweden, der die Region wie seine Westentasche kennt. Er meint, die Tour sollte machbar sein, vor allem, wenn wir uns stets in der Mitte des Tales halten. Auch ist wohl vor kurzem jemand mit dem Schnee-Skooter die Strecke abgefahren, um die Lawinen-Situation zu untersuchen. Dies bedeutet, dass wir gut, dieser Spur folgen können. Anders als auf dem Kungsleden, wird es nun die stets gute sichtbare aus roten Kreuzen bestehende Wintermarkierung mehr geben. Das Wetter ist traumhaft und soll auch in den nächsten Tagen gut bleiben, wir entscheiden uns also für diesen Weg.

Höher und höher geht es ab jetzt und der Blick in alle Richtungen wird immer beeindruckender. In der Ferne entdecken wir einige Rentiere. Am späten Nachmittag erreichen wir die kleine, von hohen Bergen umgebene Nallo-Hütte. Anders als die Hütten auf dem Kungsleden, wird diese Hütte erst in der kommenden Woche öffnen. Es gibt allerdings ein Winterlager, bestehend aus einige Betten und einem Ofen.. In dieser Nacht sinken die Temperaturen auf fast -30 Grad, auch wenn es in der Hütte deutlich unter 0 Grad bleibt, sind wir froh, uns für dieses Winterlager entschieden zu haben.

Dieser Tag mit seinen unglaublichen Aussichten, dem Auf und Ab und den immer neuen Blicken auf tiefe Täler und hohe Berge und der einsamen Hütte am Ende dieser Tour zählt definitiv zu den Highlights dieser Tour zählen.

Tag 6: Von Nallo zur Vistas-Hütte, 9km

Wir durchlaufen ein Tal umgeben von hohen schroffen Bergen. Es macht sich deutlich bemerkbar, dass wir nicht mehr auf dem Kungsleden sind: unterwegs begegnen wir niemandem (auch in den nächsten 5 Tagen wir dies so bleiben). Schon früh sehen wir die Vistas-Hütte, zu der wir einen letzten Hang hinuntergleiten. Nach einigen Tagen im Hochland, sind wir nun wieder so tief, dass wir auch wieder den für Lappland typischen Birkenwald vorfinden. Auf einmal bewegt sich etwas darin. Wir halten an und schauen genauer hin: An den kleinen Ästen einer Birke knabbert ein Elch. Eine Weile stehen wir und betrachten ihn, er lässt sich von unserer Anwesenheit nicht stören. Erst als wir weitergehen und ihm näherkommen, trabt er gemütlich davon.

Es ist nach wie vor bitterkalt, um die -25 Grad. Wir wollen im Winterlager der Vistas-Hütte im Ofen ein paar Scheite anheizen und kurz Mittagspause machen. Gemütlich wärmen wir unsere Glieder auf, als auf einmal Helikopter-Lärm zu hören ist. Er kommt näher und näher und landet dann tatsächlich neben unserer Hütte, kurz darauf landet ein weiterer. Wenig später drängt sich eine Gruppe aus ca.10 Personen in das maximal 15m2 große Winterlager. Es sind Heliskier, die einen warmen Ort für ihre Mittagspause gesucht haben. Wir kommen uns vor wie im falschen Film, als sie uns erzählen, wie der Helikopter sie täglich zu 15 bis 20 Gipfeln fliegt, sie diese runterfahren und er sie unten wieder einsammelt. Außerdem gehören zu ihrem Rund-Um-Paket BBQ auf dem Berggipfel und ein mehrgängiges Mittagsmenü, was ihnen in unserer kleinen Hütte serviert wird. Nach einer guten Stunde, starten ihre Helikopter wieder, wir sind wieder alleine und uns sehr einig, wie glücklich wir mit unserer Art des „Urlaubmachens sind“. Vom Heliski-Guide haben wir erfahren, dass für den nächsten Tag Sturm angekündigt ist. Spontan entscheiden wir uns, nicht wie geplant noch weiterzulaufen und dann das Zelt aufzuschlagen, sondern im Winterquartier der Vistas Hütte zu bleiben. Am Nachmittag taucht noch ein Mann mit seinem Sohn auf. Wir befürchten erst, das kleine Zimmer für die Nacht teilen zu müssen, aber sie haben einen Schlüssel zum Nebenraum und übernachten dort. Sie sind hier zum Schneehühner jagen. Dafür ziehen sie immer wieder komplett weiß eingekleidet mit ihren Skiern los. Nach jeder Tour hängen dann die erlegten Schneehühner im Hüttenvorraum zum Einfrieren – ein gewöhnungsbedürftiges Bild.

Tag 7: Pausentag in der Vistas-Hütte, trotzdem 4 km 😊

Am Morgen scheint die Sonne und vom angekündigten Sturm ist nichts zu sehen. Eigentlich wollten wir heute einen Pausentag einlegen, doch nun überlegen wir wieder hin und her. Sollen wir doch weiterziehen? Am Ende entscheiden wir uns zu bleiben und machen am Vormittag eine kleine Tour ohne Pulken. Und dann fängt es auch langsam an immer stärker zu winden und wir sind froh in der kleinen Hütte statt im Zelt zu sein. Wir verbringen den Tag mit Hozhacken, den Benzinkocherreinigen, schlafen und lesen. Die Entspannung tut merklich gut und bringt neue Kräfte.

Tag 8: Von Vistas an den Alisjavri-See, 18km

Der Sturm hat sich über Nacht gelegt. Wir packen zusammen und verlassen unsere gemütliche Hütte – was für ein Glück, dass wir hier zwei Tage bleiben konnten. Heute geht es gemächlich einen Fluss entlang talaufwärts. Wir sehen spuren von Rentieren, Elchen und Vielfraß und immer wieder Schneehühner. Der Weg ist nicht markiert, doch unser GPS-Gerät brauchen wir nicht, links und rechts geht es steil nach oben, man muss sich also nur an die Mitte des Tals halten. Die Landschaft ändert sich heute kontinuierlich: breiter Fluss, vereiste Sumpfwiesen, riesige Felsbrocken… Gegen Mittag erreichen wir das Ende des Tals. Wir wurden bereits vorgewarnt, dass dort ein steiler Anstieg auf uns wartet. Direkt vor dem Anstieg machen wir Mittagspause und fachsimpeln, wie und an welcher Stelle wir wohl am besten hochkommen. Wir entscheiden uns gegen Schlangenlinien, sondern für den kurzen, aber steilen Anstieg ohne Skier (mit Schuhen ist es zwar anstrengender, aber wir haben einfach mehr halt). Der Anstieg ist anstrengend, aber machbar und wir kommen zügig oben an. Wir überqueren eine Hochebene, steigen ab und sind auf einmal wieder am Alisjavri-See, den wir vor 5 Tagen schon überquert haben. Die erste Runde unserer 8-förmigen Tour haben wir geschafft. Wir bauen unser Zelt auf, essen Kartoffelbrei mit Pfeffersauce und fallen müde in die Schlafsäcke.

Tag 9: Vom Alisjavri zur Unna Allakas, 15km

Schneller als sonst haben wir das Zelt abgebaut und die Pulken gepackt – langsam kommen wir in Übung. Wir queren den Alisjavri-See und kommen an der Alesjaure-Hütte vorbei, wo wir noch einmal nach der Lawinensituation für unseren nächsten Abschnitt fragen wollen. Nach einigen Überlegungen mit der Hüttenwirtin, entscheiden wir uns, wie geplant weiterzugehen. Dies bedeutet zunächst einen steilen, schon von weitem sichtbaren Anstieg. Was uns vor ein paar Tagen noch unmachbar erschienen wäre, nehmen wir nun in Angriff. Den ganzen Vormittag steigen wir auf – sehr anstrengend, aber wir schaffen es. Am höchsten Punkt (gleichzeitig mit 1250m auch der höchste Punkt unserer Tour) angekommen, denken wir, dass der restliche Teil der Etappe ein Spaziergang sein wird. Doch da haben wir uns gewaltig geirrt. Auf einmal stehen wir vor einem Hang, der auch als sehr steiler Abhang durchgehen könnte. Die mit roten Kreuzen als Winterweg markierte Route geht einfach gerade runter (wer plant denn so einen Weg?). Wir schnallen die Skier ab und gehen im Zeitlupentempo in Schlangenlinien hinunter. Immer wieder ist der Hang so steil, dass beim queren die Pulken einfach umkippen. Doch langsam und konzentriert kommen wir nach unten. Erleichtert, das gemeistert zu haben, gehen wir einige Kilometer gemütlich auf und ab und genießen die schöne Aussicht, bis wir auf einmal schon wieder an so einem Abhang stehen. Diesmal ist er so schmal, dass Schlangenlinien nicht machbar sin. Zum Glück ist der Schnee so tief und weich, dass man durch Einsinken mit den Schuhen gut halt finden kann und so gehen wir Schritt für Schritt hochkonzentriert, damit uns die Pulken nicht nach unten drücken. Es ist schon später am Nachmittag und eigentlich hatten wir nach diesem Abhang die Unna Allakas-Hütte erwartet, doch da haben wir die Karte nicht gut genug studiert. Noch einmal geht es hinauf, diesmal machbar, aber immer noch anstrengend. Bei der Hütte angekommen, treffen wir auf einmal wieder auf Leute (bis auf wenige Ausnahmen haben wir seit Tagen niemanden gesehen). Die Hütte ist mit Schneemobilen von Abisko aus erreichbar und deshalb gar nicht schlecht besucht. Wir gehen noch etwas weiter und schlagen dann in einem Flusstal das Zelt auf. Am Abend scheinen die Nordlichter lila-grün am Himmel. Die 14km lange Strecke kam uns mit seinem Auf und Ab heute wir 30km vor und die Etappe wird wohl die abenteuerlichste unserer Tour gewesen sein.

Tag 10: Von Unna Allakas an den Abisko-Nationalpark, 16km

Gemütlich lassen wir uns am Morgen Zeit, schließlich soll es in den nächsten zwei Tagen nur noch gemächlich bergab Richtung Abisko gehen. Die Stimmung ist gut, alle herausfordernden Abschnitte dieser Tour liegen hinter uns. Die Felle endlich mal wieder von den Skiern genommen gleiten wir gemütlich dahin. Doch schon nach Kurzem entpuppt sich der Weg doch als deutlich hügeliger als erwartet – ohne Felle ziemlich anstrengend. Die Temperaturen sind auf knapp unter 0 Grad gestiegen. Es kommt uns wie Sommer vor, teilweise laufen wir nur im Sweatshirt. Auch einige richtige Mittagspause ist heute möglich. Wir setzen uns auf die Pulka und nehmen uns gemütlich Zeit unsere heiße Tasse und Riegel zu Essen und den Tee zu trinken. Auch bisher haben wir immer eine kurze Mittagspause gemacht, aber selten länger als 20 Minuten, weil es auch mit dicker Daunenjacke einfach zu kalt war und der Körper schnell wieder in Bewegung kommen musste. Am Nachmittag geht es dann nochmal ordentlich bergab, wir lassen uns einfach gleiten und fühlen uns so viel stabiler auf den Skiern als noch vor einigen Tagen. Einzige Menschenbegegnung ist ein an uns vorbeirasender Schneeskooter mit interessanter Besetzung: Fahrer und dahinter Beifahrer, Anhänger mit zwei Kinder drin, weiter Anhänger mit zwei Hunden, hintendran ein sich ziehen lassender Skifahrer. Unser Zelt stellen wir heute wieder in einem kleinen Birkenwald auf, ein deutliches Zeichen, dass wir uns tieferen Ebenen und dem Ende unserer Tour nähern.

Tag 11: Vom der Nationalparkgrenze bis zum Zeltplatz Nissonjohka, 16km

Heute laufen wir den Abschnitt, auf dem wir vor 11 Tagen gestartet sind noch einmal. Den Kreis damit langsam zu schließen ist ein gutes Gefühl. Nach einer intensiven Tour und vielen neuen Erlebnissen betrachten wir die Umgebung stellenweise mit anderen Augen. Manch steile Stelle, die wir am Anfang nicht hochkamen, kommt uns inzwischen doch nicht mehr so hoch vor. Es kommen uns eine ganze Reihe Personen mit Pulken entgegen. Mit manchen unterhalten wir uns kurz. Zwei Franzosen sind sehr an unseren Erfahrungen interessiert und wir schmunzeln als sie uns schildern, dass ihre Hauptsorge die schwere Pulka und die kalten Nächte im Zelt sind – ging es uns vor knapp zwei Wochen doch ganz ähnlich. Nun können wir ihnen sagen „ist alles gar nicht so schlimm und man gewöhnt sich dran“ und hoffen, dass es auch für sie auch wahr werden wird. Gemütlich kommen voran und nutzen die Zeit für viele Fotos und Videos. In den letzten Tagen war es dafür manchmal doch zu anstrengend oder zu kalt gewesen. Auch das Wetter bietet nochmal alles von Sonnenschein bis dicke Schneeflocken. Da wir nun wieder im Abisko Nationalpark sind, darf man sein Zelt wieder nur an ausgeschriebenen Stellen aufbauen. Wir legen 5km vor Abisko nochmal eine Übernachtung ein. Trotz des offiziellen Zeltplatzes und der Nähe zu Abisko sind wir hier wieder weit und breit die einzigen im Zelt. In der Ferne hören wir aber schon den Zug, der uns in einigen Tagen wieder nach Hause bringen wird.

Tag 12: Vom Nissonjohka zur Abisko-Turiststation, 5km

Die Nacht war sternenklar und kalt. In Euphorie, es fast geschafft zu haben und der milden Temperaturen am Vortag haben wir die richtig warmen Sachen gar nicht mehr ausgepackt. Ein Fehler. Wir denken an die Franzosen vom Vortag zurück, denen wir noch gesagt haben, dass es gute Tage für die ersten Nächte im Zelt sind, ist es doch im Moment recht mild. Wir packen ein letztes Mal zusammen und machen uns auf. Langsam und gemütlich genießen wir die letzten Kilometer dieser Tour. Auf der heutigen Etappe wechseln sich idyllischer Birkenwald mit schönen Aussichten auf die zurückliegenden Berge wunderbar ab. Am frühen Mittag erreichen wir Abisko und die Fjellstation wieder. Es ist ein komisches Gefühl hier wieder anzukommen, alles sieht noch gleich aus, nur wir sind irgendwie verändert. Hier haben wir für die nächsten 4 Tage noch ein Zimmer gebucht und freuen uns auf Bett, Dusche und Sauna. Wir müssen noch einen Moment warten, bis wir reinkönnen. Ich lasse mich in einen Sessel neben der Rezeption fallen und merke hier das erste Mal – und dafür aber umso intensiver – wie erschöpft mein Körper ist und was er in den letzten Tagen doch alles geleistet hat. Wir haben es geschafft!

Entspannungstage

Die restlichen Tage in Abisko verlaufen ruhig. Einen Tag verbringen wir fast ausschließlich mit ausruhen und schlafen. Trotz der Minustemperaturen draußen steht unser Fenster fast den ganzen Tag offen – ganz langsam gewöhnen wir uns erst wieder an geschlossene Räume und Heizung. Wir unternehmen kürzere Spaziergänge und beobachten immer wieder einzelne Personen, die mit ihren Pulken losziehen und spielen in Gedanken durch, was sie wohl alles erleben werden.

Ein letztes Mal wollen wir dann doch nochmal unsere Komfortzone verlassen: 2km von der FjellStation haben wir ein kleines Eisloch entdeckt, das mit einer Holzplatte abgedeckt ist, damit es nicht zu fest zufriert. Eisbaden waren wir den ganzen Winter schon in Deutschland, ein Eisbad in Lappland wäre der krönende Abschluss unserer Eisbadesaison. Schon auf dem Weg zum See fängt das Adrenalin an zu schießen. Und dann geht alles ganz schnell. Holzbrett weg, die Eisschicht aufhacken, Klamotten aus und rein. Eine gute Minute halten wir es aus, umgeben von einer Eisschicht, die mindestens einen Meter dick ist. Beim raussteigen überkommt uns die beim Eisbaden so gewohnte Wärme, die es ermöglicht sich in Ruhe anzuziehen. Gefolgt von der Euphorie. Es hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir beschließen, am nächsten Tag, bevor wir in den Nachtzug steigen gleich noch einmal reinzuspringen.

Rückreise

Und dann kommt er der Tag, an dem wir dieses Winterwunderland verlassen müssen. Als ob das Winterwetter uns zum Abschied nochmal sein Bestes geben will, kämpfen wir uns im dichten Schneefall mit unseren Koffern zum Bahnhof. Als wir wieder in unserem gemütlichen kleinen Nachtzug-Abteil sitzen zieht gedanklich noch einmal unser Abenteuer an uns vorbei. Wir sind stolz und auch ein wenig beeindruckt von uns selbst, wie gut wir den unterschiedlichen Herausforderungen stand halten und an ihnen wachsen konnten. Mein Gefühl zu dieser Tour bewegt sich irgendwo zwischen „Ui, was war das für eine krasse Tour“ und „wann und wo könnten wir als nächstes so eine Tour machen“. Klar ist, die Tour war extrem Kräfte zehrend. Schon allein das viele Gepäck, das man im Winter benötigt macht es deutlich anstrengender als eine Winter-Tour. Hinzu kommt das ständige Achten auf potentielle Gefahren, die im Winter deutlich schneller als im Sommer verhängnisvoll werden können. In Nullkommanichts kann das Wetter von Sonnenschein zu Schneesturm umschlagen. Außerdem mussten wir uns deutlich mehr als erwartet mit Lawinenrisiken auseinandersetzen, ständig die Berge und ihre Hänge im Blick behalten. Und dann natürlich die andauernde Kälte, die einen zwingt, in ständiger Vorsorge zu sein, ja nicht auszukühlen, denn dann ist es einfach deutlich schwieriger, den Körper wieder warm zu bekommen. Gleichzeitig haben es aber auch all diese Umstände so besonders gemacht. Wir hatten jeden Tag die Möglichkeit, über uns herauszuwachsen, haben so viel gelernt und haben definitiv unsere Komfortzone um ein gutes Stück erweitert. Die Erfahrungen und Erinnerungen dieser Tour werden und noch lange begleiten.

Zum Weiterlesen:

4 Kommentare zu „12 Tage quer durch das schwedische Lappland

  1. Sehr schöner Bericht von einer eindrucksvollen Tour! Da bekommt man gleich Lust, selbst aufzubrechen 🙂 Wann genau wart ihr da unterwegs? Im März?

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  2. Vielen Dank für deinen Bericht und die Schilderung von der Anfängerin bis zur „ist alles gar nicht so schlimm und man gewöhnt sich dran“ Frau. 😀 Danke auch für den Link zu meiner Seite. Viele Grüße, Malte

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